Ein Halali für die kluge, sportliche Wanja

(Auszug)

 

Auch Wanja war eine Hündin, pechschwarz ohne ein einziges weißes Haar irgendwo, kurzhaarig und recht groß. Sie wurde noch viel größer. Das Auffallendste an ihr waren die eng zusammenstehenden bernsteingelben Augen mit den kleinen Pupillen, die sie selbstbewusst und gerade auf jeden Menschen richtete. Diese kleinen Augen blickten so direkt und unverschämt, dass Fremde sich leicht vor ihrem mitunter stechenden Blick fürchteten. Einmal schritt ein Bekannter entschlossen auf Wanja zu, wollte ihre Augen unter seinen beherrschenden Menschenblick zwingen, den Hund einschüchtern. Er war ein erfahrener Hundeabrichter und behauptete, dass alle Hunde kuschen würden, wenn er sie nur ansehe. Wanja kuschte nicht. Ihre Augen wurden nur noch winziger als sie sowieso schon waren. Sie stand auf, ihre kurzen Rückenhaare sträubten sich, der lange Schwanz stand waagerecht nach hinten weg. Sie starrte unverfroren zurück. Ganz leise, aber sehr unheilverkündend kam ein Grollen aus ihrer Kehle. Ich warnte, aber der Mann wagte einen weiteren Schritt nach vorne. Wanja, die keine Sekunde lang ihre Augen von den seinen gelöst hatte, sprang ab. Den Biss konnte ich durch rasches Zugreifen verhindern. Der berühmte Hundeabrichter war um eine Erfahrung reicher.
 

Wanja vereinigte nur zwei Rassen in sich: Jagdhund von der Sorte Deutsch-Kurzhaar und Dobermann. Sie war hochbeinig wie ein Dobermann, aber im Körper so lang wie ein Jagdhund. Ihr herrlich schmaler Kopf mit dem langgezogenen Fang stammte auch vom Dobermann, die lange, dünne nach unten getragene Rute vom Deutsch-Kurzhaar. Die grundsätzliche Menschenfreundlichkeit erbte sie vom Jagdhund, der seit über einhundert Jahren daraufhingezüchtet wird, einem fremden, beliebigen Jäger an die Hand gegeben zu werden und ihm zu gehorchen. Das schneidige Draufgängertum in allen Kampfsituationen eines Hundelebens erinnerte an den Dobermann. Es gab nichts, wovor Wanja sich fürchtete, weder vor Menschen, noch vor Hunden, schon gar nicht vor Geräuschen. Nichts irritierte sie, keine zischende Silvesterrakete, kein heulender Düsenjäger, kein knallendes Auspuffrohr und auch nicht der direkt vor ihrer Nase platzende Luftballon. Ich erinnere mich an keine Situation, die sie aus dem Lot gebracht hat. Während einer Bergwanderung wurden wir von einem gefährlichen Gewitter überrascht. Ich hatte mich mit meinem Hund unter eine Felsenplatte gerettet und starrte mit angstgeweiteten Augen auf das Inferno vor mir. Blitze fetzten über die Alm, der Donner krachte entsetzlich, und schwere Hagelkörner prasselten vor uns nieder. Wanja saß derweil ungerührt auf den Keulen und flöhte sich ausgiebig mit der Hinterpfote das Fell. Dann gähnte sie provozierend nach draußen und wollte augenblicklich weiter. Wanja stand stramm und abwehrbereit auf allen vier Pfoten, jederzeit bereit, sich in einen Kampf zu stürzen. Aber ich mag scharfe Hunde nur in Gefahrenmomenten, nicht alltäglich und grundsätzlich. Wanja hat mir das immer übel genommen, aber ich blieb dabei. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte ihr Hundeleben permanent aus Kampf bestanden, nur so aus Spaß an Raufereien und am Kräftemessen. Aber es ging nach mir. Beißen war nur angesagt, wo es nicht zu vermeiden war, sie oder ich angegriffen wurden. Zu ihrem Seelenheil sei berichtet, dass es gelegentlich nicht zu vermeiden war.
 

Sie liebte kein Streicheln und keine Körpernähe. Das hatte ich zu lernen. Dabei sehnte ich mich nach dem Verlust von Erna gerade nach einem Hund, der ebenso zärtlich war. Wanja war nicht zärtlich, absolut nicht. Streichelte ich sie, so ließ sie es mit leidender Miene einige Sekunden lang geschehen, um dann aufzustehen und sich in zwei Meter Entfernung vor mich hinzusetzen. Von dort aus starrte sie mich unverwandt an. Das war ihr Ausdruck von Liebe: Einen anzusehen, ganz gerade und direkt.
 

Mitunter hütete ich Hunde von Bekannten oder den Brüdern ein. Wanja mochte die Besucher und tollte mit ihnen draußen auf dem Rasen ausgelassen herum, was ihr bei fremden Hunden nicht einfiel. Aber zu Hause ging sie auf Distanz. Sie schlief in deutlicher Entfernung von dem Gast. Kroch er nach, wollte er Hundekörperwärme, stand sie sofort auf und wechselte belästigt den Platz, verzichtete im Zweifelsfalle sogar auf ihr eigenes Körbchen. Der momentane Hausgenosse war geschätzt und akzeptiert, er war ein Gefährte, den es zu verteidigen galt, wenn ihm draußen ein anderer Köter ans Fell wollte. Aber hier im Hause hatte er ihr gefälligst vom Leibe zu bleiben. Wanja war eben unnahbar, ganz Dobermann!
 

Auch Wanja war von der Nase bis zur Pfote ein schöner Hund. Sie war harmonisch gewachsen, Beine, Körper und. Rumpf passten im Größenverhältnis zueinander. Das tiefschwarze Fell glänzte, und ihre straffen Muskeln spielten unter der Haut. Der rassige Kopf mit der langen Nase wurde meist erwartungsvoll hoch getragen. Nur die Ohren waren mangelhaft. Dabei hatte sie die hübschen langen und breiten Behänge des Jagdhundes, aber sie dachte gar nicht daran, sie so zu halten, wie es bei einem anständigen Deutsch-Kurzhaar vorgeschrieben ist. Wanjas Ohren standen steif und fast waagerecht vom Kopf ab, wenn die Situation spannend wurde. Sie hingen zu einer absurd dünnen Rolle zusammengezwiebelt schlapp an den Seiten herunter, wenn es den Alltag wahrzunehmen galt oder sie wurden der Länge nach zur Hälfte gefaltet und am Hinterkopf überkreuz gelegt, wenn ein sexuell ansprechbarer Rüde in Schnuppernähe war. Die Hündin war intelligent. Sie lernte alles, was sie lernen sollte mit so atemberaubender Schnelligkeit, dass mir zuletzt nichts mehr einfiel, was ich ihr noch hätte beibringen können. Sie unterschied gelbe Futternäpfe von roten, holte die Leine und den Autoschlüssel, meine Handschuhe und die Mütze. 

Sie lernte so gerne, dass ich beschloss, mit ihr auf den Dressurplatz zu gehen. Dort musste sie Klötzchen tragen, über Hürden springen, auf Leitern klettern. Sie musste auf einem Balken balancieren, später dabei ein Gepäckstück, zum Beispiel eine Erste-Hilfe-Tasche im Maul tragen. Oder es galt, versteckte Gegenstände aufzuspüren, verborgene Menschen zu finden, angeblich Verletzte freizubuddeln. Wanja lernte sämtliche Dressuraufgaben binnen eines Jahres, andere Hunde benötigten dafür vier. Zu Hause ging der Spaß weiter. Der Hund wollte unbedingt etwas lernen, zumal er versessen war auf die Belohnung in Gestalt steinharter Hundekuchen. Wanja räumte auf Kommando alle herumliegenden Sachen im Zimmer auf den nächsten Stuhl, schob den Ascheimer zum Entleeren mit der Nase an die Haustür, zerrte die Aktenmappe aus der Ecke, wenn das Kommando 'Universität' gegeben wurde. Sie reichte auf den Hinterpfoten stehend und mit den Vorderpfoten an die Flanke des Pferdes gestützt, die heruntergefallene Reitgerte nach oben, ohne dass ich absitzen musste.
 

Also, Wanja der hübsche, mutige, intelligente Superhund? Keine Angst, so geht es nicht weiter. Auch Wanja hatte einen Makel und zwar einen sehr gravierenden:...